Das Wattenmeer
„Da, die Muschel hat sich doch gerade bewegt!“, „Was sind das denn für Spaghettihaufen hier?“ oder „Wo ist denn das ganze Wasser hin?“. Solche oder ähnliche Fragen und Ausrufe hat bestimmt jeder schon einmal gehört (oder sogar selbst gestellt), der an einer Wanderung durch einen ganz besonderen Küstenabschnitt teilgenommen hat. Richtig, die Rede ist vom Watt! Der Name stammt vom friesischen Wort wada ab, was so viel wie „durchwaten“ bedeutet und ist bei einer Wattwanderung tatsächlich Programm. Denn die erfahrenen Nordseeurlauber unter Euch werden es wissen: Man watet regelrecht durch den Schlick und den Schlamm, den das Meer bei Ebbe freilegt. Dabei hat man freie Wahl, was das Schuhwerk angeht. Die einen wählen die klassischen Gummistiefel, die anderen verzichten gänzlich auf Schuhe und gehen sogar barfuß - ganz sicher ein besonderes Erlebnis!
Wie Watt Wo
Das Watt bzw. Wattenmeer ist ein einzigartiger Naturraum, den es nur im Zusammenspiel der Gezeiten gibt. Bei Ebbe, wenn sich das Meer zurückzieht, wird der Meeresboden freigelegt und zum Vorschein kommt ein Lebensraum, der deutlich vielfältiger ist, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Kein anderer Küstenstreifen steht so sehr unter dem Einfluss von Ebbe und Flut wie das Wattenmeer, das zweimal pro Tag vom Meer überspült wird und im Anschluss wieder trocknet.
Auf jedem Kontinent gibt es diese besonderen und lebhaften Küstengebiete, mal mehr, mal weniger bekannt. Oder habt Ihr schon mal vom mittlerweile eingedeichten Saemangeum in Südkorea gehört? Geographisch näher, aber nicht bekannter dürfte wahrscheinlich die Morecambe Bay im Nordwesten Englands sein. Das knapp 305 Quadratkilometer große Watt gilt als ein wichtiges Refugium für Zugvögel.
Deutlich bekannter dürfte dafür die Meeresbucht des Mont-Saint-Michel in Nordfrankreich an der Grenze zwischen Normandie und der Bretagne sein. Zusammen mit der Felseninsel Mont-Saint-Michel und der gleichnamigen Abtei zählt die Bucht zum Welterbe der UNESCO. Die jahrhundertealte Abtei thront mitten im Meer und bietet einen majestätischen Anblick, der jährlich mehr als drei Millionen Besucher anzieht. Bei Ebbe lässt es sich sogar wunderbar zu Fuß vom Festland zur Insel wandern. Aber Vorsicht! Wattwanderungen sollten nur mit erfahrenen Guides unternommen werden. Zu groß ist die Gefahr, dass man sich bei schlechtem Wetter verirrt und den Weg nicht mehr findet, bevor die Flut zurückkommt.
Und wo befindet sich das weltweit größte Wattgebiet? Ganz genau, es liegt direkt bei uns vor der Haustür! Über 9000 km² zieht sich das Wattgebiet von Den Helder in der niederländischen Provinz Noordholland über die deutsche Nordseeküste bis hin zur bei Urlaubern beliebten dänischen Insel nördlich von Sylt, Rømø. Zumindest in unseren Breitengraden dürfte dieses Wattenmeer am bekanntesten sein.
Mythos Rungholt
Seit Jahrhunderten schon leben die Menschen an der Küste vom und am Meer. Das Leben an der Nordsee ist geprägt vom ewigen Kampf mit der tosenden See. Regelmäßig werden die Küstengebiete von Sturmfluten heimgesucht. Gut, dass es mittlerweile große Deichanlagen gibt, die die Bewohner und das Land schützen. Im Zuge der sogenannten Zweiten Marcellusflut im Januar 1362 hatten die Bewohner des mittlerweile sagenumwobenen Rungholt weniger Glück. Während dieser Jahrhundertflut wurde das komplette Dorf überspült und ging in der Nordsee unter. Heutige Funde legen nahe, dass Rungholt zwischen der Insel Pellworm und der Halbinsel Nordstrand im heutigen Nordfriesischen Wattenmeer lag. Klar, dass sich etliche Legenden um diesen untergegangenen Ort ranken. Nüchtern betrachtet war Rungholt wohl eher ein normales Bauerndorf. Im Laufe der Zeit wurden dem Ort jedoch immer prunkvollere Beschreibungen angedichtet, sodass Rungholt im Nachhinein zu sagenhaftem Reichtum kam. Und auch wenn das Dorf von der Nordsee begraben liegt, bei ruhigem Wetter soll man noch heute die Glocken unter der Wasseroberfläche hören können…
Diesem Mythos könnt Ihr genauer auf die Spur gehen, wenn Ihr bei Eurem nächsten Besuch hoch oben im Norden das Nordfriesische Museum in Husum besucht, das sich den Legenden und Sagen um Rungholt genauer widmet.
Apropos Nordfriesland: Beliebt bei deutschen Urlaubern sind vor allem die Nordfriesischen Inseln Amrum, Föhr, Pellworm und Sylt sowie die Ostfriesischen Inseln Borkum, Juist, Norderney, Baltrum, Langeoog, Spiekeroog und Wangerooge. Auf der niederländischen Seite liegen die Westfriesischen Inseln, die von Den Helder aus bis nach Borkum reichen. Schauen Sie doch mal in Friesland vorbei und entdecken die nördlichste Provinz der Niederlande. Hier können Sie sogar die dem Watt vorgelagerte Insel Ameland besuchen. Auf den friesischen Inseln lässt es sich wunderbar entspannen. Spazieren Sie durch weitläufige Dünenlandschaften, hier können Sie die Seele baumeln lassen. Natürlich darf auch ein Blick auf das Wattenmeer nicht fehlen.
Wattwurm & Co.
Beim ersten Hinsehen entdeckt man zumeist nichts anderes als nassen Sand und ein paar Wasserrinnen, den sog. Prielen. Wer jedoch genauer hinschaut, wird feststellen, dass der Meeresboden sehr lebendig ist. Eines der häufigsten Tiere im Watt ist der Wattwurm. Charakteristisch für dieses Tier ist sein kringeliger Kothaufen, der mit etwas Fantasie an Spaghetti erinnert. Für alle, die schon einmal auf Safari in Afrika waren, ist der Begriff „Big Five“ sicherlich nicht neu. Damit sind Elefant, Löwe, Leopard, Büffel und Nashorn gemeint. Aber wusstet Ihr auch, dass es im Wattenmeer die „Small Five“ gibt? Hierzu zählen neben dem Wattwurm, die Herzmuschel, die Strandkrabbe, die Wattschnecke und die Nordseegarnele. Sie zählen zu den bedeutsamsten Tieren im Lebensraum Wattenmeer und sind unglaublich wichtig für den Erhalt dieses besonderen Ökosystems. Sie fressen Kleinstlebewesen und dienen nicht zuletzt selber als Nahrung für viele Fische und Vögel. Vögel im Watt? Ganz genau! Das Watt ist für viele (Zug)-Vögel wie den Austernfischer ein wichtiger und nahrhafter Ort, um Energie für die anstrengenden Reisen in die Winterquartiere zu sammeln.
Das beliebteste Tier im Watt ist aber mit Sicherheit der Seehund. Wer schon mal mit der Fähre vom Festland auf eine der Inseln gefahren ist, hat vielleicht schon Seehunde gesehen, die sich auf einer Sandbank mitten im Wattenmeer sonnen. Fähre und Wattenmeer? Ja, Ihr habt richtig gelesen. Normalerweise ist während der Ebbe eine Fahrt mit dem Schiff natürlich nicht möglich. Weil einige Inseln wie z.B. Norderney aber tidenunabhängig erreichbar für die Touristen sein möchten, gibt es einige Fahrrinnen, die extra für die Fähren gebuddelt wurden.
Naturschutz
Um das fragile Watt zu schützen und für deren Erhalt zu sorgen, wurden Nationalparks eingerichtet. In Deutschland gibt es mit den Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer, Hamburgisches Wattenmeer und Niedersächsisches Wattenmeer gleich drei, die zusammen auf eine Fläche von mehr als 8.000 km² kommen.
Wer bei so viel Frischluft übrigens Hunger bekommt: Pflanzen wie der Queller haben Einzug in Feinschmeckerestaurants gehalten und verstärken den Trend zu mehr regionalen Produkten. Sie wachsen in Wattböden und in Salzwiesen. Queller gilt als Delikatesse und wird heutzutage gerne in der Gourmetküche verwendet. Vielleicht entdeckt Ihr die Pflanze ja auf Eurer nächsten Wattwanderung?